Der VGH Kassel hat am 8. April 2020 – als erstes zweitinstanzliches Gericht in Deutschland – rechtskräftig entschieden, dass die vorübergehende Untersagung von Zusammenkünften in Kirchen, Moscheen und Synagogen während der Corona-Pandemie nicht außer Vollzug gesetzt wird.
Der Antragsteller begehrte den Erlass einer sog. einstweiligen Anordnung in einem Normenkontrollverfahren, indem er sich direkt gegen die nachfolgend genannte Verordnung (4. Verordnung zur Bekämpfung des Corona-Virus der hessischen Landesregierung vom 17.03.2020) wendete.
Die streitige Regelung lautet:
§ 1 (1) Die nachfolgenden Einrichtungen, Betriebe, Begegnungsstätten und Angebote sind zu schließen oder einzustellen:
1. Tanzveranstaltungen, …, ………………
(5) Untersagt werden Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Synagogen und die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften. Allen Glaubensgemeinschaften bleibt es unbenommen, alternative Formen der Glaubensbetätigung auszuüben, die nicht mit Zusammenkünften von Personen verbunden sind, zum Beispiel Angebote im Internet. Die in Satz 1 genannten Gebäude und Räume können für die Gebete Einzelner offengehalten werden…“.
Der Antragsteller gehört der römisch-katholischen Kirche an. Aus dieser Überzeugung heraus und in Wahrnehmung seiner religiösen Verpflichtungen besucht er regelmäßig (mindestens jeden Sonntag) die Hl. Messe, was ihm auf Grund der streitgegenständlichen Regelung nunmehr unmöglich gemacht wird. Am 27.03.2020 hat er deshalb einstweiligen Rechtsschutz gegen die o.g. Verordnung beantragt. Er macht geltend, das Grundrecht der Religionsfreiheit als schrankenloses Grundrecht dürfe nicht eingeschränkt werden und das Verbot sei überdies unverhältnismäßig.
Der VGH Kassel hat den Eilantrag abgelehnt.
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes erweist sich die angegriffene Regelung aufgrund der im Eilverfahren gebotenen sog. summarischen Prüfung weder als offensichtlich rechtswidrig, noch sei bei der vom Verwaltungsgerichtshof anzustellenden Folgenabwägung die Außervollzugsetzung der Regelung geboten. Dabei verkenne das Gericht nicht, dass die angegriffene Norm außerordentlich weitreichende – in der jüngeren Vergangenheit beispiellose – Einschränkungen der Religionsfreiheit sämtlicher Menschen begründe, die sich dauerhaft oder vorübergehend im Gebiet des Landes Hessen aufhielten. Diese massiven Eingriffe seien aber – soweit im Eilverfahren feststellbar – von einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage getragen und zur Erreichung eines legitimen Ziels – unmittelbar der befristeten Verhinderung weiterer Infektionsfälle, mittelbar der Gewährleistung einer möglichst umfassenden medizinischen Versorgung von Personen, die an COVID-19 erkrankt seien – geeignet und erforderlich. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei jedenfalls derzeit nicht festzustellen.
Auch der weitere Einwand des Antragstellers, die Freiheit der Religionsausübung sei im Grundgesetz schrankenlos gewährleistet und daher nicht durch Gesetz oder Verordnung einschränkbar, greife nicht durch. Die Religionsfreiheit sei zwar vorbehalts-, aber nicht schrankenlos gewährleistet. Dieses Grundrecht finde seine Grenzen wie jedes vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht jedenfalls dort, wo dies zum Schutz der Grundrechte Dritter oder anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtswerte notwendig sei. Dies sei hier in Bezug auf Leben und Gesundheit der Priester, anderer Gläubiger und angesichts der hohen Ansteckungsgefahr und großen Streubreite des Virus auch dritter nichtgläubiger Menschen der Fall.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs ist unanfechtbar.
(Quelle: Pressmitteilung des VGH Kassel Nr. 10/2020 v. 08.04.2020)(IK)